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Dichtung des Spätmittelalters
Wenn ich ein Reichtstagsabgeordneter ware und folglich alle Veranlassung hatte, mich der geehrten Mitwelt als Mann von Bildung ergebenst vorzustellen, so wuste ich wohl, wie ich meinen Aufsatz gefallig und geistvoll beginnen muste. Just wie es die Herren Volksvertreter thun, wenn sie z.B., um einen hubschen Sessionsschlus zu erzielen, rasch die soziale Frage behandeln und dann, mit den Lohnkampfen beim Pyramidenbau anfangend, allmahlich zu den Gracchen ubergehen, die Bauernkriege grundlich erortern und so die Geschichtskenntnisse ihres Konversationslexikons ins hellste Licht stellen, so wurde auch ich verfahren und im vorliegenden Falle, um nicht allzu langweilig zu werden, nicht mit Homer, sondern mit den provencalischen Minnesangern den Reigen eroffnen. Ich bin nun aber Gott sei Dank kein Reichstagsabgeordneter und hoffe es auch nie zu werden, denn das Wahlrecht der Frau scheint mir, beilaufig bemerkt, ein schlimmes Danaergeschenk in einer Zeit, wo es sogar viele Manner gern wieder los sein mochten. So lasse ich denn alle Schulweisheit und auch die nicht mit Unrecht beliebten lateinischen und deutschen, meist falschen Citate zu Hause und gehe gleich auf den Kern der Sache ein, umsomehr, als mir doch keine vierstundige Redezeit wie im Reichstag zugebilligt wird und ich es als Mitglied des schwacheren Geschlechtes doch mit der Mehrzahl der Parlamentsmitglieder nicht aufnehmen konnte, was Redseligkeit und titanenhafte Langweiligkeit anbelangt Marwa Ahmed - 1. Juni 2022
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